„Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie.“

Ludwig van Beethoven
Deutscher Komponist (1770 – 1827)

Diese Seite habe ich mit dem Zitat von Beethoven begonnen, weil ich häufig gefragt werde wie ich zu meiner CD-Sammlung gekommen bin oder warum ich mir so viele angeschafft habe.

Nun Beethoven hat nicht unrecht. Zu nahezu jeder Stimmung und jedem Gefühl – ob positiv oder negativ – lässt sich mindestens ein Lied finden, das einem dabei hilft diesen Zustand abhängig von der Situation zu verstärken oder zu verarbeiten.

Ein zweiter Grund ist – das kann und will ich nicht abstreiten – eine gewisse Sammelleidenschaft. Es werden beispielsweise auch Münzen, Briefmarken etc. gesammelt, die zweifelsohne auch einen gewissen Wert haben bzw. hatten. Wiederum andere sammeln Bierdeckel, Aufkleber, Fahrkarten etc. Hierbei steht ganz klar der ideelle Wert im Vordergrund.

All diese Gegenstände haben nun eine Gemeinsamkeit. Man legt sie sich in den Schrank oder legt sie in eine Vitrine und kann sich regelmäßig am Anblick erfreuen. Meine CDs kann ich immer wieder anhören und verbinde damit immer wieder neue Situationen. Dadurch haben sie immer noch einen praktischen Nutzen.

Live-Konzerte besuche ich inzwischen auch recht häufig, wobei Open-Air-Veranstaltungen in Stadien eher selten. Das beste Live-Erlebnis hat man eben doch nur in kleineren Hallen oder in Konzertsälen. Hinzu kamen über mehrere Jahre auch Techno-Veranstaltungen, weil die Atmosphäre dort immer klasse war.

Auf die häufige Frage, wie ich mir das leisten könne, antworte ich in den meisten Fällen mit einer Gegenfrage: „Rauchst du?“ Die Tatsache, dass diese Frage sehr oft mit „Ja“ beantwortet wird, macht die Argumentation sehr einfach. Wenn man durchrechnet, was ein Raucher bedingt durch sein Laster an monatlichen Kosten hat… da kann ich mir viele CDs bzw. Konzertkarten von kaufen.

Ich hoffe, dass man mich nun etwas besser versteht. Wenn nicht, könnte der folgende Text von Anja Dyck eventuell hilfreich sein.

Gefunden in: W10 – Magazin für junge Soldaten, Ausgabe 1 / 2000

Musik: Der Takt des Lebens

„Ohne Musik wäre unser Leben ein Irrtum.“

Friedrich Nietzsche, deutscher Philosoph

Professor Herrmann Rauhe, Präsident der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg geht noch einen Schritt weiter: „Ohne Musik wäre unser Leben nicht möglich, denn jeder Mensch ist rhythmisch-musikalisch vorprogrammiert.“ Das schlagende Herz ist die Existenzgrundlage des Lebens. Der Atem, die Magen-DarmFunktion und das Gehirn sind rhythmisch-musikalisch gesteuert. Musik ist damit das wichtigste Lebenselixier des Menschen. Kein Wunder also, dass heute überall Musik ertönt, ob in den eigenen vier Wänden, in Kaufhäusern, Büros, Verkehrsmitteln, Toiletten… . „Musik liegt in der Luft“. Sie ist Teil des jeweiligen Zeitgeistes und Zeitgeschehens und Medizin für die Seele.

Jeder kennt das Gefühl, völlig ausgelaugt, genervt, gestresst zu sein. Der Griff zur richtigen CD, der Druck auf die Play-Taste sind dann häufig die letzte Rettung. Musik erfüllt zwei wichtige Funktionen. Sie regt an, fördert die Antriebskraft und motiviert. Darüber hinaus nimmt sie eine entspannende, entkrampfende Aufgabe wahr.

Ist man glücklich und zufrieden, verstärkt der richtige Song dieses Gefühl, steigert es bis zur Euphorie. Man fühlt sich unschlagbar, unbezähmbar. Wenn man traurig oder niedergeschlagen ist, wirkt Musik wie Balsam für das Gemüt. Sie fängt einen im freien Fall auf, ist eine treue Freundin auch in düsteren Momenten. Probleme verblassen zu Problemchen, Sorgen schwinden dahin.

Eine Dosis Wohlbefinden – kostenlos und ohne Rezept

„Musik kann ihre Wirkung jedoch nur entfalten, wenn sie individuell ausgewählt wird, denn jeder Mensch hat seine eigene musikalische Lebensgeschichte und seine Vorlieben“, erklärt Prof. Rauhe, „jeder hat Melodien oder Songs, die für ihn eine ganz besondere Bedeutung einnehmen, die ihn in eine bestimmte Stimmung versetzt. Diese Lebensmelodie entsteht meistens in der Phase der Pubertät. Mit ihr sind Ereignisse, Erlebnisse und Assoziationen verknüpft, die sich unwiderruflich eingeprägt haben.“

Richtig eingesetzt, beeinflusst Musik sogar den Genesungsprozess bei schwer kranken Menschen. In Hamburg hat man dies wissenschaftlich nachgewiesen. Bei Schlaganfallpatienten mit Lähmungserscheinungen beispielsweise führt das Vorspielen der Lebensmusik in vielen Fällen zu einem beschleunigten Heilungsprozess. Die Lebensgeister erhören den Klang des Lebens und fordern einen gesunden Körper.

Doch die menschliche Seele ist sensibel und Musik kann auch negative Gefühle hervorrufen. Dies geschieht, wenn einem Musik aufgezwungen wird, die nicht gefällt. So kann Musik in öffentlichen Gebäuden häufig nicht jedem gerecht werden. Junge und alte Menschen lieben völlig unterschiedliche Musik. Unfreiwillige Musikberieselung, das hat jeder schon mal am eigenen Leib erfahren, löst Gereiztheit, Unwohlsein, ja sogar Aggressionen aus.

Musik kann jedoch nicht auf den individuellen Menschen reduziert werden. Musik ist Ausdruck eines Lebensgefühls, zeigt die Befindlichkeit einer Gesellschaft. Dies gilt insbesondere für junge Menschen. Musik ist die beliebteste Freizeitbeschäftigung unserer Generation, aber sie ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung, sie ist elementarer Ausdruck des Lebens, der Identität einer Gruppe. Musik ist das Leben für junge Leute auf der Suche nach Abgrenzung, dem Wunsch anders zu sein und gleichzeitig aufgehoben in einer Gruppe.

„Die Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann
und worüber zu schweigen unmöglich ist.

(Victor Hugo, französischer Schriftsteller)

Lange Zeit hat die Jugend durch ihre Musik gegen die verkrustete Welt der Erwachsenen rebelliert. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts protestierten die Anhänger der Jugendbewegung Wandervogel musikalisch gegen die spießbürgerliche, wilhelminische Gesellschaft des Plüschsofas und der höheren Töchter, die im Salon Klavier spielten.

Die Jazzbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Protest gegen die Eltern, die Hitler gewählt hatten, der verzweifelte Aufbruch zu neuen Identitäten und Werten. Die Musik von Glenn Miller, Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Frank Sinatra vermittelte den angloamerikanischen Way of Life mit Nylons, Kaugummi, Nescafé und Blue Jeans.

Und dann änderte sich schlagartig alles. Bill Haley und Elvis Presley betraten die Bühne der Welt zum Schrecken der Erwachsenen, deren Weltanschauung und Autorität von einem auf den anderen Tag in Frage gestellt wurden. Zum ersten Mal hatte die Jugend ihre eigene Musik. Musik von jungen Leuten für junge Leute gemacht. Nun war der Verrohung der Jugend Tür und Tor geöffnet. „Rock around the clock“ ertönte es überall, und Elvis‘ Hüftschwung ging in die Geschichte ein.

Doch erst vier Pilzköpfe aus Liverpool schafften es, diese Protestmusik auch auf höchstes künstlerisches Niveau zu bringen.

„Keine Band wird je wieder so erfolgreich sein wie die Beatles“, ist Prof. Rauhe überzeugt. „Sie haben es geschafft, hohe Musik und Texte höchster literarischer Qualität zu machen.

Sie haben ein Gesamtkunstwerk geschaffen, bei dem das äußere Erscheinungsbild eine große Rolle spielte.“ Die Beatles waren Ausdruck des Lebensgefühls der jungen Generation, die Lossagung von Regeln, der Wunsch nach Regeln und Spaß. Die Erwachsenen hatten sich gerade ein bisschen an den Rock n‘ Roll gewöhnt, da wurden sie von der nächsten Lawine überrollt.

Doch auch die älteren Semester nahm die Musik der Beatles schnell gefangen. Da Protest ohne Gegenpol nicht funktioniert, musste etwas neues her – Punk Bands wie die Sex Pistols demonstrierten, dass musikalisches Verständnis für einen Rockstar nicht notwendig ist. Mit ihrem grotesken Aussehen und ihren nicht minder spektakulären Auftritten, führten sie die „No future“- Generation an, die mit exotisch-bunter Haarpracht, Sicherheitsnadeln im Gesicht, Ratte auf der Schulter, ungewaschen ein bürgerlich – angepasstes Leben boykottierte.

Die Zeiten des Protests sind heute vorbei, verstaubte Tabus sind aufgebrochen.

Die Jugend hat ihr Ziel erreicht: Fast grenzenlose Freiheit und Unabhängigkeit, Möglichkeiten, von denen viele vor 30 Jahren nur geträumt haben. Aber auch die Jugend der 90er hat mit Problemen zu kämpfen, wenn auch anderer Art als ihre Vorgänger. Und wieder dient Musik als Ausdruck dieser Gefühle und Sehnsüchte.

Der Schlager erlebt in den 90ern ein gewaltiges Revival. Er symbolisiert das Streben nach Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war. „Der Schlager artikuliert die Defizite im Leben“, erzählt Prof. Rauhe. „Wenn man den Schlager betrachtet, weiß man, was den Menschen fehlt.“ Wenn Udo Jürgens „Was wirklich zählt auf dieser Welt, bekommst du nicht für Geld“ oder „Jeden Morgen geht die Sonne auf“ singt, dann sind das Binsenweisheiten, doch auch eine Art Lebenshilfe, wenngleich die Wünsche nur pseudo-befriedigt werden. Schlager regen zum Mitsingen an und singen macht den Menschen fröhlich. Je mehr Leute zusammen singen, desto glücklicher sind sie, freuen sich, egal wie banal die Texte sind.

Als nach der Auflösung der Boy Group Take That eine wahre Massenhysterie unter den jungen Mädchen ausbrach, stieß dies bei der älteren Generation nur auf Unverständnis. Doch Boy Groups wären nie erfolgreich geworden – denn singen können sie meistens nicht und Instrumente werden auf der Bühne wohlwollend gleich weggelassen -, wenn sie nicht eine Funktion in unserer Gesellschaft wahrnehmen würden. Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft offenbaren sie die kollektive Identifikation mit einem Leitbild, die Suche nach einem Vorbild, nach Werten und Menschen, die diese Werte vermitteln. Eine sagenhafte Enttäuschung macht sich breit, wenn die Vorbilder von ihrem von der Musikindustrie erschaffenen Thron steigen und sich als „Normalos“ entpuppen.

Und auch die Techno-Bewegung mit ihren zahlreichen Ablegern ist Ausdruck von Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach zwischenmenschlichen Beziehungen, die Flucht aus der Isolation.

Die lonely crowd, die einsame Masse, braucht die Musik mehr denn je, um aus der Einsamkeit zu entfliehen.

„Techno befriedigt das elementare Bedürfnis des Menschen nach Rausch“, erklärt Prof. Rauhe. „Früher gab es in alten Ritualen immer ekstatische Elemente, wo die Menschen sich völlig losgelassen gehen lassen konnten, wo bis zum Umfallen getanzt wurde, man ausgelassen war. In unserer Gesellschaft ist alles geregelt. Alkoholismus und Drogensucht sind ein Ventil um dem Bedürfnis nach Rausch freien Lauf zu lassen – ein gefährlicher Pseudo-Rausch allerdings. Wenn man ein geeignetes Ventil finden würde gäbe es weniger kaputtgehauene Telefonzellen, beschmierte Wände und sinnlose Zerstörungswut in unserer Gesellschaft.“ Da jedoch beim Techno das Zusammengehörigkeitsgefühl nur vorgegaukelt wird und auch durch die  Musik nicht hergestellt werden kann, ist diesbezüglich keine Besserung in Sicht.

Die Entwicklung neuer Medien wie der Schallplatte und der CD haben uns eine einmalige Chance eröffnet: Die freie Wahl der Musik, der Musik aller Zeiten und aller Nationen.

Dennoch werden diese Medien nie das Live–Ereignis Musik ersetzen können. Das soziale Ereignis Musik, die Aura der Musik, gewinnt gerade in der PC-Gesellschaft mit einem steigenden Bedürfnis nach Begegnung an Bedeutung.

Und auch wenn die Kommerzialisierung der Musik, die bereits 1634 in Venedig begann, als erstmalig für den Besuch eines Konzertes bezahlt werden musste, weiter ihr Unwesen treibt, wird die Kreativität und die Entwicklung der Musik darunter nicht leiden, nach Auffassung des Hamburger Experten. „Es entstehen immer wieder alternative Stilrichtungen – und zwar in den Schonräumen, den Schattenräumen. Es wird immer wieder Versuche geben, Neues zu schaffen, altes weiterzuentwickeln, einfach deshalb, weil Musik Ausdruck eines Lebensgefühls ist.“

Prof. Rauhe ist davon überzeugt, dass es ein Comeback der Melodie geben wird, weil nur eine Melodie nachvollziehbar, mitsummbar ist. Dass ein Sound dazugehört ist klar. Den kann man wunderbar mit der heutigen Technik herstellen, aber das alleine ist es nicht. Es wird eine Musik geben, die die Botschaft des Friedens, die Botschaft der Menschlichkeit, der Gemeinsamkeit vermittelt. Ich bin sicher, dass Musik das Modell der Gesellschaft, der humanen Gesellschaft sein wird.

Anja Dyck, Januar 2000